Im Zuge der Debatten um Nachhaltigkeit, New Work, Agilität, Digitalisierung und weiteren aktuellen Themen wird viel Kritik an "den" Unternehmen und Organisationen geübt: Zu bürokratisch, zu hierarchisch, zu kapitalistisch sind nur einige der geäußerten Vorwürfe.
Bei einem Spaziergang kamen mir dazu einige Überlegungen, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte. Ausgangspunkt meiner Gedanken sind mal wieder die ursprüngliche Bedeutung der beiden Worte "unternehmen" und "Organisation", die m.E. sehr aufschlussreich sind.
Unternehmen sind Mittel zur Erreichung eines Zwecks
Zu "unternehmen" findet sich im Duden folgende Definition:
- etwas, was bestimmte Handlungen, Aktivitäten o. Ä. erfordert, in die Tat umsetzen, durchführen
- sich irgendwohin begeben und etwas tun, was Spaß, Freude o. Ä. macht
- Maßnahmen ergreifen; handelnd eingreifen
Es ist also eigentlich ein ganz neutraler Begriff, der darauf abhebt, dass jemand aktiv wird, um etwas (freudvoll) zu realisieren. Er umfasst damit sowohl das Handeln an sich wie auch die Erreichung des Zwecks, der damit verfolgt wird.
Als "Unternehmen" wird definiert:
- etwas, was unternommen (s.o.) wird; Vorhaben
- [aus mehreren Werken, Filialen o. Ä. bestehender] Betrieb (im Hinblick auf seine wirtschaftliche Einheit)
Hier kommt also (teilweise) der wirtschaftliche Bezug ins Spiel, in der es also um Wertschöpfung geht.
Üblicherweise verbindet man darüber hinaus - unter Ausblendung der Tatsache, dass es auch Einpersonen-Unternehmen gibt - mit dem Wort Unternehmen einen Zusammenschluss verschiedener Personen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen, den sie alleine nicht erreichen könnten. Das ist der ganz ursprüngliche und völlig wertfreie Sinn von Unternehmen.
Außerdem zeigt sich hier schon der Unterschied der beiden Worte "Sinn" und "Zweck" auf: Ein Unternehmen hat den Sinn, gemeinsam einen Zweck zu verfolgen, der einzeln sonst so nicht verfolgt werden kann. Welcher Zweck verfolgt wird und wie, steht den Beteiligten frei. Ein möglicher Zweck kann die Erwirtschaftung eines Überschusses sein, der den Beteiligten zum Lebensunterhalt dient. Typischerweise dienen Unternehmen zumindest dem Erhalt der eingebrachten Ressourcen. Es kann aber durchaus auch Unternehmen geben, deren Zweck es ist, eingebrachte Mittel unters Volk zu bringen und sich mit Zweckerreichung aufzulösen.
Bei Unternehmen mehrerer Personen kommt dann zwangsläufig auch das Wort "Organisation" ins Spiel: Nämlich, um die Aktivitäten verschiedener Personen so zu koordinieren, dass sie sich gegenseitig in der Erreichung des gemeinsamen Zwecks unterstützen (oder zumindest nicht stören). Dann gilt es, Absprachen zu treffen, Ziele zu vereinbaren, Spannungsfelder zu tarieren zwischen Unvereinbarkeiten usw. Routinen, Regelungen, Prozesse, Rollen etc. dienen daher dazu, den Aufwand für die Koordination der beteiligten Menschen zu reduzieren. Und eigentlich obliegt es allen Beteiligten gleichermaßen, immer wieder auch zu klären, ob die Zusammenarbeit dem Unternehmenszweck wirksam dient und damit die Erwartungen der Beteiligten erfüllt.
Nebenbemerkung: Allgemeinsprachlich wird das Wort "Organisation" auch oft verwendet, um Unternehmen, die nicht primär erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienen, von denen abzugrenzen, die Erwerbszwecken dienen (so auch auf meiner Webseite, wovon ich im folgenden aber abweiche).
Fazit: Was Unternehmen NICHT zwangsläufig sind
Mit einem gemeinsamen Unternehmen entsteht ein wechselseitiges Angewiesenheitsverhältnis aller Beteiligten, um den gemeinsamen Zweck überhaupt erreichen zu können. Eine gemeinsame Familie zu gründen oder einen Gesprächskreis, ist also auch schon ein Unternehmen; die wirtschaftliche Ausrichtung betrifft in meinem Verständnis also nur einen Teil aller Unternehmen. Ebenso sind beispielsweise auch NGOs, Verwaltungen oder Parteien Unternehmen.
Unternehmen sind außerdem nicht eigene Wesen, auch wenn unser Recht sie als sog. juristische Personen definiert. Dahinter stehen immer Menschen; und zwar Menschen, die gemeinschaftlich einen bestimmten Zweck verfolgen. Die also - das ist Wesensmerkmal jeder Gemeinschaft - den Beteiligten auch immer Kompromisse abfordern. Weshalb es den Beteiligten zu entscheiden verbleibt, ob der Nutzen, den sie aus einem Unternehmen ziehen, die damit verbundenen Lasten angemessen ausgleicht, und wie sie angesichts des jeweiligen Verhältnisses dieser beiden Größen damit umgehen möchten. Ob sie also beispielsweise einem Unternehmen weiter zugehören wollen oder es verlassen.
Zur Diskussion von Purpose, Unternehmenszweck und Unternehmenssinn
Im Zuge der Diskussion um #NewWork wird oft gefordert, Unternehmen und Organisationen möchten sich auf ihrem - idealerweise inspirierenden - Unternehmenszweck, kurz: Purpose, besinnen und ihr Tun daran ausrichten. Daraus resultiere intrinsische Motivation der Mitarbeitenden und entsprechend steigender Unternehmenserfolg. Dieser Unternehmenserfolg wird dabei m.E. allzuleicht gleichgesetzt mit Glück und Zufriedenheit der beteiligten Personen.
Es ist richtig: Je mehr Beteiligte sich mit dem Unternehmenszweck identifizieren und ihn aus Überzeugung unterstützen, desto mehr sind sie einsatzbereit und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus diesem Einsatz Erfolg resultiert. Von daher ist eine Klarstellung, was denn Zweck eines Unternehmen ist, durchaus zielführend.
Doch es gilt genauer hinzuschauen und nicht nur explizite Zwecksetzungen, sondern auch implizite in die Betrachtung mit einzubeziehen: Wenn beispielsweise Google seinen Purpose definiert ("to organize the world's information and make it universally accessible and useful"), dann ist ergänzend die systemische Einbettung von Google mitzudenken. Im konkreten Falle handelt es sich um ein erwerbswirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen, und schon seine rechtlichen Eigentümer- und Organisations-Strukturen legen Rückschlüsse nahe, wie der propagierte Purpose weiterzudenken ist. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die genannte Zwecksetzung beispielsweise unter dem Vorbehalt der Profiterzielung steht, um nur einen von wahrscheinlich vielen Aspekten zu explizieren.
Vieles als fortschrittlich Erachtete ist mit gesunder Skepsis zu genießen.
Denkt man ferner die als New Work betitelten Bestrebungen, wie z.B. Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit, oder die im Rahmen von Agilitätsbestrebungen erfolgende Übertragung von Verantwortung an Teams in vielen Unternehmen konsequent durch, dann ist in sehr vielen Fällen davon auszugehen, dass bei aller Anerkennung legitimer Bemühungen um menschengerechte und motivierende Arbeitsbedingungen ein starker Motor (zumindest auch) ist, dass damit die Produktivität von Menschen noch ein bisscher weiter gesteigert werden kann. Dies erfolgt jedoch immer wieder zu deren Lasten, wenn nicht die Voraussetzungen wie v.a. die Kompetenz, sich selbst zu führen, und entsprechende Strukturen vorhanden oder geschaffen sind.
Denn Selbstkompetenz bedeutet, nicht nur die eigenen Bedürfnisse, die verfügbare Zeit und anstehende Aufgaben zu steuern, sondern auch auf sich selbst und die eigene Gesundheit zu achten. Sich selbst zu erkennen und damit auch Zugang zu finden dazu, was für den/die Einzelne*n (!) "Sinn" macht - was er/sie also wirklich wirklich will, wie das in Relation steht zum Unternehmenszweck und in der Lage zu sein, beides im Spannungsfeld in Einklang zu bringen, ist erfolgskritisch. Diese Selbstkompetenz zu erlangen, ist Kern dessen, was Frithjof Bergmann propagierte, und sie erfordert eine Menge menschliche Reife und Persönlichkeitsentwicklung. Etwas, was in unserer Gesellschaft, in Schulen wie Wirtschaft nicht gerade gefördert wird und was daher oft Nachbesserung und Unterstützung bedarf.
Dabei möchte ich würdigen, dass viele Maßnahmen in guter Absicht entworfen und implementiert werden; doch gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Es kommt vielmehr auf den Gesamtkontext an und auf die Vermeidung von oft strukturell bedingten Ungleichgewichten, die Macht oder eben Ohnmacht erzeugen. Was in vielen Unternehmen aufgrund rechtlicher Konstruktionen und gesellschaftlichen Realität oft der Fall ist. Man denke nur an die Macht, die in Arbeitsverhältnissen Unternehmen über Arbeitnehmende eingeräumt wird, oder die Macht, die aus einer Monopolstellung eines Unternehmens anderen gegenüber erwächst.
Das Einzige, das letztlich immer hilft, Unternehmen zu gestalten, die allen Anspruchsgruppen gerecht werden, ist die Praxis zu fördern, Beteiligte und Betroffene weitestgehend in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen und dafür geeignete Beteiligungsstrukturen und -prozesse zu schaffen. Um die Gestaltung eben nicht einzelnen Mächtigen, sog. Entscheidern, zu überlassen, sondern den manchmal mühsamen, doch dafür meist zielführenden Weg der Partizipation zu gehen.
Ob ein Unternehmen seinem Zwecke dient UND ob wir als Gesellschaft den Zweck als legitim erachten, bestimmt, ob ein Unternehmen Sinn macht.
Abschließend halte ich es daher nicht für sinnvoll, "die Unternehmen" als eine undifferenzierte Gruppe pauschal zu beurteilen. Es gilt vielmehr, unser Verständnis zu entrümpeln von dem, was wir in unserer subjektiven Wahrnehmung an Stereotypen entwickelt haben.
Als zielführender empfehle ich es darum, genauer hinzusehen, was denn wirklich wirklich Zweck der betrachteten Unternehmen ist - also im Gesamtkontext von inneren Strukturen und äußeren Umfeldeinbettung. Erst diese relativierende Analyse gestattet eine angemessene Bewertung, inwieweit ein Unternehmen seinem Zweck gerecht wird und damit Sinn macht. Einem Unternehmen, das den Zweck hat, das Kapital der Kapitalgeber zu maximieren, kann nicht vorgeworfen werden, zu kapitalistisch zu sein. Das wäre dann eher ein Lob. Ob eine hierarchische Struktur und Kultur einem Unternehmen zum Nutzen gereicht oder schadet, ist im Hinblick auf den Zweck zu beurteilen.
Womit sich die Frage stellt, wer den Zweck eines Unternehmens definiert - der ja durchaus im Zeitverlauf sich auch verändern darf/kann/soll. Und unabhängig davon ist natürlich auch zu klären, welche Legitimität wir als Gesellschaft bestimmten Unternehmenszwecken zubilligen. Die Mafia verfolgt sehr erfolgreich ihren Zweck und stiftet Sinn für ihre Mitglieder. Gesamtgesellschaftlich hingegen macht dieses Unternehmen für unsere Gesellschaft keinen Sinn. Bilden Sie sich also stets ein differenziertes Urteil über den Zweck UND den Sinn von Unternehmen!
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