Der mir im Rahmen der Digital XChange am 23.06.2018 zugewiesene Seminarraum war für vielleicht 30 Personen konzipiert. Angesichts der Tatsache, dass die Veranstaltung sonst vorwiegend technische Inhalte der Digitalisierung im Mittelstand fokussierte, rechnete ich mit vielleicht 15 Teilnehmern. Umso mehr freute ich mich, als bestimmt 50 Personen und mehr plötzlich in den Raum strömten und wir eilig aus den Nachbarräumen dann zusätzliche Stühle besorgen mussten; selbst die Fensterbänke waren besetzt! Die kurze Abfrage zeigte: In der Teilnehmerschaft waren sehr viele Führungskräfte, einige davon Unternehmenseigner oder Geschäftsführer als auch einige Vertreter von Personalabteilungen - also Menschen, die sich nicht erst heute mit Führung und damit, wohin sie sich entwickelt, auseinandersetzen.
Mein Vortrag, für den nur 45 Minuten zur Verfügung standen, beleuchtete zunächst die Treiber der Veränderungen in der Wirtschaft, die Auswirkungen auf die Arbeitswelt und schließlich die neuen Anforderungen, die diese auf die Personalführung haben. Geplant hatte ich, die Teilnehmer zu einer Aufstellung einzuladen, um ihre persönliche Betroffenheit durch diese Veränderungen bzw. die ihres Unternehmens sichtbar zu machen - allein, der nicht vorhandene Platz im Raum ließ nur eine erneute Abfrage zu. Die - na, wen überrascht's?! - ergab, dass eigentlich fast alle bereits deutliche Veränderungen im Unternehmen, in der Arbeit und in der Führung spüren.
Die Nachteile eines Vortrags sind, dass (vorwiegend) nur einer spricht. Viele der von mir vorgetragenen Inhalte waren sicher nicht neu; wichtig war mir daher, die Zusammenhänge aufzuzeigen zwischen den auch gesellschaftlichen Veränderungen und den Handlungsoptionen, die Führungskräften und Mitarbeitern in der Gestaltung der Arbeitswelt zur Verfügung stehen. Dass Zukunftsfähigkeit darin besteht, ein Umfeld zu schaffen, in dem die jeweils relevanten Wissensträger sich (!) zusammenfinden und erfolgreich zusammenarbeiten, um zu bewältigen, was immer gerade ansteht, und in dem alle Mitarbeitenden im Denken und Handeln lernen, Mitverantwortung zu übernehmen. Dass Führung zunehmend heißt, dass jeder im Unternehmen für das, was gerade ansteht, in Führung geht (statt darauf zu warten, reaktiv Führung übertragen zu erhalten und sich dann an einer primär effizienzgetriebenen Verwaltung vorgegebener Ziele abzuarbeiten) und dass diejenigen, die bisher als Führungskräfte galten, ihr Führungshandeln überdenken und viele - auch in Führungstrainings gerne gelehrte - Tätigkeiten schlicht unterlassen. Um notwendige Freiräume zu schaffen, ohne die keine Mitverantwortung möglich ist. Womit sich zeigt, Führung und Selbstorganisation im Unternehmen zwei Seiten einer Medaille sind, ohne die Unternehmen in einem komplexen VUCA-Umfeld künftig nicht erfolgreich sein können.
Und natürlich warf damit meine Skizzierung dessen, worin Führung sich künftig ausdrückt, die Frage auf: "Ja, aber ist das nicht alles schon, was wir längst kennen?"
Jeder Moderator - so hoffe ich! - kennt diesen sagenhaften Moment, wenn die Teilnehmer selbst auf die Frage aller Fragen kommen und damit zeigen, dass sie verstanden haben.
Denn ja, das Konzept und diverse Methoden zur Unterstützung von Selbstorganisation ist keinesfalls neu (wie Sie auch diesem Blogbeitrag der von mir sehr geschätzten Corporate Rebels entnehmen können), sondern ist mindestens ein halbes Jahrhundert alt. Viele Ansätze des Ideenmanagements, des Qualitätsmanagements, des Lean Managements u.v.m. setzen auf ebendiese Methoden.
Was jedoch neu ist, ist die Dringlichkeit, nicht nur Methoden der Selbstorganisation anzuwenden (so heutzutage gerne SCRUM), sondern vielmehr endlich auch die zugrundeliegende Haltung und damit die Führung auf die neuen Gegebenheiten einer schnelllebigen, höchstvernetzten, globalen und komplexen Welt anzupassen.
Und dieser Paradigmenwechsel ist das, was vielen Unternehmen Schmerzen bereitet. Wachstumsschmerzen, wie ich hoffe! Denn er setzt voraus, dass wir andere Bilder von Führung in unseren eigenen Köpfen entwickeln,
- damit Führungskräfte loslassen können (also sich zurückziehen aus Tätigkeiten, die die Verantwortlichkeit ihrer Mitarbeiter mindern - leichter gesagt als getan!!!) und
- damit Mitarbeiter lernen sich zu erdreisten, einfach zu machen, und
- damit Unternehmen gemeinsam neue Wege erfinden, die Vielzahl der Mitgestalter im Unternehmen anders als durch Hierarchie zu koordinieren.
Was bedeutet, das eine Kultur des zielorientierten Miteinanderarbeitens gemeinsam austariert und entwickelt werden muss. Und das ist das, was sich für viele bedrohlich anhört - weil wir darin nicht geübt zu sein meinen. Doch meine Erfahrung zeigt, dass wir es sehr wohl kennen und können - nur eben aus anderen Umfeldern, wie z.B. Familien, Freundeskreisen, Vereinen. Und mal ganz ehrlich: Welches Unternehmen würde heute noch existieren, wenn die Mitarbeiter wirklich nur die Anweisungen der Führungskräfte ausführen würden und nicht selbst mitdenken und notwendige Handlungen ergreifen würden??
Es ist garnicht so schwer und es gibt durchaus einfache Methoden, um eine dem neuen Arbeitsumfeld 4.0 angemessenere Führung zu entwickeln. Und natürlich hilft sachkundige Unterstützung und Moderation, den Anfang zu machen in diesen organisationalen wie auch persönlichen Entwicklungsprozess aller Beteiligten. Aber primär gilt: Nur Mut und Vertrauen, dass es gelingen wird!
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Mark Schubert (Mittwoch, 04 Juli 2018 23:20)
Es war in der Tat eine interessante Diskussion, die zum Ende hin, auch Neues brachte. Wie mit Managementmethoden wie Scrum und kolaborativen Tools wie Jira und Confluence, Teams in agiler Selbstorganisation befähigt, gehört heute zum Skill einer modernen Führungskraft.
Claudia Schleicher (Donnerstag, 05 Juli 2018 12:55)
Hallo Herr Schubert, vielen Dank für Ihre Ergänzung! Wichtig ist m.E., dass ohne eine entsprechende Haltung die besten Tools und Methoden mit der Zeit ins Leere laufen. Denn Menschen werden es früher oder später spüren, wenn die Absicht hinter den Tools allein auf Effizienz und Gewinn abzielt. Und es muss erwähnt werden, dass ja auch durch Erfahrungslernen mit den Tools eine Veränderung in der Haltung der Beteiligten eintreten kann. Und wenn Zusammenarbeit funktioniert und die Arbeit sinnhaft und daher motivierend erlebt wird, wird Effizienz und wirtschaftlicher Erfolg das Ergebnis sein.